Neues Licht für die Medizin

March 25, 2015

featured publications – Es ist eine kühne Zukunftsvision, die Ferenc Krausz umreisst, nicht weniger als eine Revolution der Krebstherapie: Vor den Toren Münchens, sagt der Forscher, könnte einmal ein medizinisches Zentrum entstehen, dessen Kernstück ein mächtiges Laserlabor sei. Darum gruppieren sich Untersuchungs- und Betreuungsräume für Patienten, die mit hochenergetischer Laserstrahlung von Kopf bis Fuss auf Tumore untersucht werden. Ionenstrahlen, die ebenfalls von Lasern angetrieben werden, würden unmittelbar danach die entdeckten Wucherungen vernichten. Der Patient könnte kuriert die Heimreise antreten.

Alle Aspekte des Lichts nutzen

Krausz, der an der Ludwig-Maximilians-Universität München und am Max-Planck-Institut für Quantenoptik Technologien für ultrakurze und hochenergetische Laserpulse weiterentwickelt, ist Mitinitiator des Center for Advanced Laser Applications in Garching bei München, kurz CALA. Dort sollen die Technologien entwickelt und erprobt werden, die zur Realisierung dieser kühnen Träume notwendig sind. Im letzten November wurde mit dem Bau begonnen. Knapp 70 Millionen Euro stehen den beiden Münchner Universitäten für Bau und Errichtung der wissenschaftlichen Infrastruktur zur Verfügung.

Tumore, die mit den heute verwendeten radiologischen Untersuchungsmethoden erst ab einer Grösse von etwa einem Zentimeter auffallen, könnten mithilfe von brillanten, monochromatischen Röntgenlasern in einem viel früheren Stadium entdeckt werden, noch bevor sich Metastasen bilden könnten, erläutert Krausz. Und dieselben Laser, die die intensive Röntgenstrahlung zur Diagnose bereitstellen, können auch zur Erzeugung von Ionenstrahlen verwendet werden. Damit lassen sich die entdeckten Tumore gleich präzise entfernen. So weit ist es allerdings noch lange nicht; die Technologien sind noch weit von der Marktreife entfernt. CALA wird in erster Linie Grundlagenforschung betreiben.

Denn die Röntgengeräte, die heute im Alltag in Klinik und Arztpraxen ihren Dienst tun, funktionieren im Wesentlichen noch genauso wie vor 120 Jahren, als Wilhelm Conrad Röntgen das allererste Röntgenbild der Welt auf eine Fotoplatte bannte. Sie nutzen allein die Abschwächung der mit einer Röntgenröhre erzeugten Strahlung in dichtem Gewebe. Weil die hochenergetische Strahlung die weichen Gewebeteile – Haut, Muskeln, Blutgefässe – fast ungehindert passiert, heben sich zwar Knochen deutlich auf dem Röntgenbild ab, bösartige Veränderung an den Organen hingegen nicht ohne weiteres.

Allerdings kann das altgediente Arbeitstier der Medizin noch wesentlich detailliertere Bilder liefern, wenn die Welleneigenschaften der Röntgenstrahlung ausgenutzt werden. Genau das ist die Idee beim sogenannten Phasenkontrast-Röntgen – einer Technologie, die nicht die Absorption der Röntgenstrahlen nutzt, sondern deren Ablenkung im untersuchten Gewebe. Zwar sind diese Effekte klein, aber sie können mithilfe feiner Gitter aus Silizium »gelesen« werden: Dazu teilt das erste Gitter das einfallende Licht in zwei Teilwellen, die sich hinter dem Gitter gegenseitig verstärken oder auslöschen – sie interferieren. Dabei entsteht ein charakteristisches Hell-Dunkel-Muster. Zum Auslesen wird ein zweites Gitter direkt vor dem Detektor herangezogen, anders wären die Details des Interferenzbildes nicht aufzulösen. Das zweite Gitter, dessen Lücken mit Gold gefüllt sind, wird in kleinen Schritten über das Hell-Dunkel-Muster geschoben. Dabei blenden die Goldstreifen jeweils einen Teil der Strahlung aus. Aus den gemessenen Helligkeiten werden anschliessend das ursprüngliche Interferenzbild und die Ablenkung der Röntgenstrahlen im Gewebe berechnet.

In den Forschungslaboren liefert diese Technik frappierend detaillierte Bilder: Ende 2013 gelang den Forschern um Franz Pfeiffer von der TU München, mit dieser Methode eine lebende Maus zu durchleuchten. Inzwischen habe man einen Prototypen, der Ganzkörper-CT kleiner Versuchstiere anfertige, sagt Pfeiffer. Jetzt arbeite man daran, das System auf die Dimensionen eines menschlichen Körpers zu vergrössern. Am Paul-Scherrer-Institut (PSI) in Villigen hat die Arbeitsgruppe von Marco Stampanoni in Zusammenarbeit mit dem Kantonsspital Baden ein Phasenkontrast-Röntgengerät für die Mammografie entwickelt, das bösartige Wucherungen deutlich früher sichtbar machen soll als konventionelle Röntgenaufnahmen. Fibrotische Veränderungen, die ähnlich stark absorbierten wie gesundes Gewebe, könne man mit Phasenkontrast schärfer darstellen, sagt Stampanoni. Das noch junge Forschungsgebiet habe in den letzten Jahren grosse Fortschritte gemacht, pflichtet Pfeiffer bei. Inzwischen hätten alle führenden Medizingerätehersteller Prototypen zum Phasenkontrast-Röntgen, die bald den Weg in den klinischen Alltag finden dürften.

Neben der Medizin dürften Materialwissenschaft und Sicherheitstechnologien profitieren, in denen bildgebende Methoden ebenfalls eine grosse Rolle spielen. Eine eindrucksvolle Demonstration der Möglichkeiten lieferten Anfang Jahr Forscher an der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle (ESRF) in Grenoble: Sie entzifferten mit einer Phasenkontrast-Methode und Synchrotronstrahlung Buchstaben auf einer völlig verkohlten – und nach menschlichem Ermessen unleserlichen – Papyrusrolle.

Einfacher als vermutet

Der Erfolg der Technologie in jüngster Zeit beruht wesentlich auf den Arbeiten von Franz Pfeiffer und Christian David am PSI. Dort forschte Pfeiffer, bevor er an die TU München berufen wurde. Denn zuerst glaubten die Physiker, dass sich diese Methode nur mit dem kohärenten Röntgenlicht eines Synchrotrons realisieren lässt –Strahlung also, die ähnliche Eigenschaften hat wie ein Laser bei optischen Wellenlängen: Dort laufen alle Lichtwellen gewissermassen im Gleichschritt; ihre Wellenberge und -täler sind in Raum und Zeit systematisch geordnet. Bei Synchrotronstrahlung und Röntgenlasern (die allerdings noch in den Kinderschuhen stecken) sind diese Bedingungen weitgehend erfüllt. Eine normale Röntgenröhre hingegen leistet das nicht. Sie emittiert inkohärentes Röntgenlicht verschiedener Wellenlängen – und ähnelt damit eher einer Glühbirne als einem Laser.

Dann fanden Pfeiffer und David eine Methode, mit der auch gewöhnliche Röntgenröhren für das Interferenzverfahren zu gebrauchen sind. Dazu muss das Licht ein weiteres Gitter aus Silizium und Gold durchlaufen, bevor es auf das zu durchleuchtende Objekt trifft. »Dieses erste Gitter präpariert die Röntgenstrahlung so, dass sie für das Interferenzverfahren zu gebrauchen ist«, sagt Pfeiffer, der für diese Arbeiten 2008 den Latsis-Preis erhielt.

Doch Röntgenlaser, wie sie im Garchinger Cala entwickelt werden sollen, haben »ein wahnsinniges Potenzial, das Phasenkontrast-Röntgen noch sehr viel besser zu machen«, sagt Pfeiffer. Das wisse man von den Arbeiten, die an Synchrotrons durchgeführt worden seien. Die Bilder seien dort deutlich besser. »Wenn das funktioniert, könnte man in fünf bis zehn Jahren Phasenkontrast-Röntgenbilder mit kompakten Laserquellen machen«, sagt Pfeiffer. Im Moment allerdings arbeite man in erster Linie daran, die Technologie mit konventionellen Röntgenröhren in den klinischen Alltag zu bringen.

Schneller Weg in die Praxis?

Ginge es nach den Forschern, dürfte das schon in wenigen Jahren der Fall sein. Oliver Heid, Leiter des Bereichs System-Technologie und Konzepte der Siemens-Forschungsabteilung, ist diesbezüglich allerdings weit weniger optimistisch: Die Methoden, die für die oft spektakulären Demonstrationen der Phasenkontrast-Technologie verwendet werden, reichen laut Heid noch nicht für medizinische Röntgenuntersuchungen. Der wohl leichteste Fall sei die Mammografie: »Das ist eine sehr spezielle Anwendung, bei der vergleichsweise wenig Gewebe durchleuchtet wird«, sagt Heid,»deshalb lassen sich langwellige Röntgenstrahlen verwenden, bei denen der Phasenkontrast am einfachsten nachzuweisen ist.« Ausserdem könne man die speziellen Silizium-Gold-Gitter bis anhin noch nicht mit den Abmessungen herstellen, die etwa zum Röntgen eines menschlichen Brustkorbs notwendig seien.

Selbst wenn die technischen Hürden überwunden seien, sei es noch ein weiter Weg, bis sich ein neues bildgebendes Verfahren bei Ärzten, Patienten und vor allem den Krankenkassen durchsetze. »Obwohl mit PET-Scanner, Computer- und Magnetresonanztomografie weitaus detailliertere, genauere Aufnahmen möglich sind, entfallen noch immer über 90 Prozent der Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren auf konventionelle Röntgenapparate«, gibt Heid zu bedenken. Noch ein Jahrzehnt werde es dauern, schätzt Heid, bis das Phasenkontrast-Verfahren im medizinischen Alltag ankomme.

Hinzu kommt, dass Phasenkontrast-Röntgenaufnahmen deutlich teurer wären als herkömmliche. Stampanoni hält es deshalb für realistischer, dass Phasenkontrast-CT komplementär zur Magnetresonanztomografie (MRT) verwendet werden: »Da hätte man einen guten Weichteil-Kontrast, aber zu einem Bruchteil der MRT-Kosten.«